BEWOHNER DER ALPEN

Die Alpen als Siedlungsraum
Undifferenziert betrachtet, scheint die Bevölkerungsentwicklung im Alpenraum eine Erfolgsstory zu sein. Denn seit Mitte des 19.Jahrhunderts hat sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt :von 6 auf 13 Millionen. Doch zeigen sich große regionale Unterschiede, sowohl die "horizontale" als auch die "vertikale" Bevölkerungsverteilung betreffend:Die südfranzösischen und italienischen Alpen mussten einen starken Bevölkerungsrückgang hinnehmen, während die Bevölkerung im Zentral- und Nordalpenraum deutlich zunahm. Überlagert wird dieses Bild durch ein vielfältiges, kleinräumiges Mosaik: Viele Tallagen und einige hoch gelegene Gebiete mit hoher touristischer Attraktivität zeigen ein ausgeprägtes Bevölkerungswachstum, während andere hoch gelegene, aber schlecht erreichbare Ansiedlungen durch Stagnation und Abwanderung gekennzeichnet sind.

Höhenstufe Anzahl der Gemeinden Flächenanteil Bevölkerung 1870 Bevölkerung 1990
Bis 499 m
500 bis 999 m
1000 bis 1499m
1500m und darüber
1912(33%)
2955(51%)
838(14%)
109(2%)
23%
51%
22%
4%
3,0Mio.
3,2Mio.
634000
60000
5,8 Mio.
4,5Mio.
657000
76000

Knapper Dauersiedlungsraum
Sieht man von den großen Tälern und den wenigen inneralpinen Becken ab, so ist das Alpengebiet durch die kleinräumigen Gliederung in Talschaften und Becken geprägt. Dabei steht nur ein Bruchteil der Gesamtfläche für die landwirtschaftliche Produktion, die Besiedlung und Verkehrswege zur Verfügung (im österreichischen Alpenraum 25%, in Tirol nur 13%). Nochmals eingegrenzt wird das Flächenangebot durch natürliche Risikofaktoren:
Steinschlag, Rutschungen, Muren und Hochwässer. Setzt man die Einwohnerdichte im Alpenraum in Beziehung zum Dauersiedlungsraum, so gehören die Alpen zu den am stärksten verdichteten Regionen Europas. In den alpinen Haupttälern herrschen somit ähnliche Siedlungsdichten wie im Rhein-Ruhr- Gebiet oder im Großraum Paris.
Etwa 35% des Alpenraumes zählen zu den Verstädterten Gebieten, in ihnen leben mehr als 50% der alpinen Bevölkerung. Solche inneralpinen Zentralräume liegen vor allem an international bedeutenden Transitverkehrsrouten. Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft dort sehr dynamisch, die Umweltbelastungen sind allerdings beträchtlich: als Folge der topografisch, klimatisch Verhältnis ist der Problemdruck sowohl im Hinblich auf Luftverschmutzung als auch auf die Verkehrslärmbelastung stark gestiegen.

Insgesamt liegen im Alpenraum nahezu 150 Städte mit mehr als 10000 Einwohnern, in denen über ein Viertel der Alpenbevölkerung lebt. Grenoble, die größte Stadt innerhalb der Alpen, zählt etwa 160000 Einwohner, mit seinem verstädterten Umland kommt die französische Alpenstadt auf 500000 Bewohner. Gesamteuropäisch gesehen sind die alpinen Stadtregionen allerdings von geringer Bedeutung.



ENTWICKLUNG VON 1870 - 1996:



Abbildung 1 zeigt die Bevölkerungsentwicklung in den 7 verschiedenen Alpenstaaten. Für jedes Land ist jeweils der Gesamtwachstumsfaktor sowie der Wachstumsfaktor im Alpenanteil angegeben.
Auffällig ist, dass die Bevölkerung im Alpenraum unterdurchschnittlich wächst. Ausnahmen stellen Liechtenstein -- das Staatsgebiet liegt vollständig in den Alpen -- sowie Östereich und Slowenien dar. Der Grund für das überproportionale Bevölkerungswachstum in Österreich dürfte seinen Grund in der europäischen Teilung und der dadurch verursachten Ausrichtung Österreichs nach Westen haben. Auch das überproportionale Wachstum der Slowenischen Alpenbevölkerung könnte durch eine Westausrichtung erklärt werden.
Das relativ geringere Bevölkerungswachstum im Alpenraum zeigt, dass es sich hierbei offensichtlich um einen Ungunstraum handeln muß, der mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa nicht mithalten kann.

Bevölkerungsentwicklung von 1970 - 1996:
Ein vollkommen anderes Bild zeigt Abbildung 2. Der Trend des langsameren Bevölkerungswachstums im Alpenraum scheint sich umgekehrt zu haben. Mit Ausnahme von Slowenien und Italien wächst die Alpenbevölkerung überproportional.



Die Alpen scheinen eine relative Gunstlage in Europa eingenommen zu haben. Ein Grund ist sicher die zentrale Lage der Alpen in Europa. Die zentrale Lage hat sich durch die politschen Veränderungen seit 1989 noch deutlicher herausgebildet. Weiterhin beeinflusst der europäische Strukturwandel den Alpenraum.

Bevölkerungsentwicklung in Abhängigkeit von der Höhenstufe:
Abbildung 3 zeigt ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum in Gemeinden deren Gemeindezentrum unterhalb von 1000 m liegt. Eine Ausnahme bilden die Schweizer Orte über 1500 m. Laut BÄTZING handelt es sich ausschließlich um Tourismusorte wie zum Beispiel Davos oder St. Moritz.



Das starke Bevölkerungswachstum in den Tallagen lässt sich durch den Strukturwandel im Alpenraum begründen. Die Landwirtschaft verliert zunehmend an Bedeutung, Industrie und Dienstleistung boomen. Die Bevölkerung folgt in erster Linie den Arbeitsplätzen in die Tallagen. Aus dem Vorland wandern Menschen zu, die den Alpenrandstädten entfliehen wollen. Das starke Wachstum in Liechtenstein ist am ehesten durch die dortige Steuerpolitik zu erklären. Insgsamt hat Liechtenstein nur einen Anteil von größenordnungsmäßig 0,2% an der Gesamtbevölkerung der Alpen, so dass dieser Staat für die Gesamtentwicklung eher zu vernachlässigen ist.
Abbildung 3 lässt auch Rückschlüsse die Qualität einer eventuell vorhandenen Berggebietspolitik in den einzelnen Ländern zu. Das Wachstum in der Schweiz und Österreich erstreckt sich auf alle Höhenstufen, während sich in Frankreich die Bevölkerung in der obersten Höhenstufe halbiert. Eingedenk der Tatsache, dass in Frankreich noch einige Tourismusorte, die stark wuchsen, in dieser Höhenstufe liegen, ist der Bevölkerungsschwund in den nicht touristisch geprägten Gemeinden sicher noch viel extremer.

Bevölkerungsentwicklung in Abhängigkeit von der Gemeindegröße:
Eine weitere Diskrepanz hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung im Alpenraum zeigt Abbildung 4. Hier ist deutlich erkennbar, dass große Gemeinden überproportional wachsen.



Offensichtlich ziehen große Gemeinden Bevölkerung an. Dies ist vor dem Hintergrund des Strukturwandels nicht weiter verwunderlich. Große Gemeinden entwickeln eine gewisse zentralörtliche Bedeutung, konzentrieren somit Dienstleistungs- und Verwaltungsaufgaben und bieten Arbeitsplätze. Insgesamt ist dies ein Hinweis auf Verstädterungstendenzen im Alpenraum, wenn auch auf einem anderen Niveau als im Alpenvorland.
Wie oben erwähnt, tritt ein gewaltiges Wachtum in der Nähe der Alpenrandstädte auf. Unter den Orten mit ein Bevölkerung von mehr als 10.000 Einwohner befinden sich keinerlei industriell geprägten Gemeinden und nur zwei Tourismusgemeinden (Chamonix und Davos).

Entsiedelung
In den Alpen sind zwei gegensätzliche, aber sich ergänzende Trends zu beobachten: Einerseits eine Entvölkerung, andererseits eine zunehmende Verstädterung.

Bereits lebt über die Hälfte der Alpenbevölkerung in Zentren mit mehr als zehntausend Einwohnerinnen und Einwohnern, und die Agglomerationen wachsen noch immer. Meist sind sie im Tal gelegen.

Andere Gemeinden haben seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen starken Bevölkerungsrückgang erlitten, der sich auch heute noch fortsetzt.

Vor allem im Piemont (Italien) wurden ganze Talschaften verlassen. Auch im Tessin ist dieses Phänomen zu beobachten, z.B. im Onsernone-Tal. Besonders oft trifft diese Entwicklung kleine Gemeinden im eigentlichen Gebirgsraum. Alpenweit leben noch 8% der Bevölkerung in diesen Entsiedelungs-Regionen, die 18% der Fläche einnehmen.

Weitere Bergdörfer haben sich in Auspendel-Regionen gewandelt, d.h. ein grosser Teil der Bevölkerung verlässt Tag für Tag das Dorf, um in oft ausserhalb der Alpen gelegenen Zentren der Arbeit nach zu gehen (17% der Alpenbevölkerung, 12% der Fläche).

Die verbleibenden 37% der Fläche und 23% der Bevölkerung nehmen ländliche Gemeinden ein, die dem klassischen Alpenbild am besten entsprechen. Nebst der Landwirtschaft spielt in diesen Gemeinden gewöhnlich auch der Tourismus eine wichtige Rolle.

Der Gegensatz zwischen Verstädterung und Entsiedelung spielt sich auf mehreren Ebenen ab: Grossräumig zwischen den boomenden Zentralalpen und den wirtschaftlich schwachen Südwestalpen; regional zwischen den lokalen Zentren (städtische Agglomerationsräume oder touristische Zentren) und dem strukturschwachen Umland sowie kleinräumig zwischen den verstädterten Talböden und den verlassenen Seitentälern und Berghängen.